englische_schule01Der oftmals gepriesene „Blick über den Tellerrand“ ist für mich als Schulleiter ein Muss und eine weitere Ideenquelle für die Entwicklung unserer eigenen Schule.
Dieser Blick hatte sich durch die Schüler der Klasse H10a unserer Schule ergeben, die ich im Fach Englisch unterrichte. Hier war der Wunsch nach Email-Kontakten mit Schülerinnen und Schülern in England entstanden. Das wurde realisierbar während meiner Reise nach Parbold in Lancashire.

Glücklicherweise war mir dabei mein Freund, der ehemalige Schulleiter Mike Graham behilflich, der mich an eine Sekundarschule in Leyland in Westengland vermittelte. Geleitet wird diese Schule von einer beeindruckenden Frau, Headteacher Miss Venn‚Woman of the Year 2009’ im County Lancashire.
Durch die Ankündigung, ein Schulleiter einer Sekundarschule aus Deutschland käme, wurde ein kleines Repräsentationsprogramm organisiert. Mir wurde also die Balshaw’s C.E. High School in allen Perspektiven vorgestellt.

So wurde ich unter der Leitung der Schülersprecherin Lucy und des Schülersprechers Matthew durch die engen Flure des altehrwürdigen Gebäudes aus dem Jahr 1931 mit seinen kleinen Klassenräumen mit altem Mobiliar und den abgegriffenen Türen geführt. Insbesondere die kleine theaterähnliche Aula für die wöchentlichen Schulversammlungen war beeindruckend. Hier wehte der Wind von acht Jahrzehnten, und auf einer Tafel auf der Bühne fanden sich zur Ehrung die Namen jeder Schülersprecherin () und jedes Schülersprechers (Headboy) seit Gründung der Schule.
Bei meinem Rundgang warf ich neugierige Blicke durch die Fenster der Klassenraumtüren und wurde oftmals spontan von aufgeschlossenen Lehrerinnen und Lehrern in ihre Klasse gebeten, die bereitwillig über ihre Arbeit an ihrer Schule berichteten.

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Ich war sehr angetan von den augenscheinlich projektorientierten Unterrichtsmethoden, dem frequenten Einsatz von elektronischen Aktivtafeln und dem disziplinierten und aufgeschlossenen Verhalten der Schülerinnen und Schüler. Hier wird nicht nur zusammen gearbeitet, sondern auch gelebt. Diese entspannte und im gleichen Zuge konzentrierte Arbeitsatmosphäre war beeindruckend.
In der folgenden Gesprächsrunde mit der Schulleiterin in ihrem Büro, das eher einer Rumpelkammer mit Teeausschank glich, mit Mitgliedern der Schulleitung, einigen Fachbereichsleitern und den Schülersprechern habe ich selbstverständlich nach dem Grund hierfür gefragt.

 

Zuallererst einmal sind die Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte dort anders. So halten sich die Vollzeitbeschäftigten während der gesamten Unterrichtszeit von 8.30 bis 15.45 Uhr in der Schule auf. Jede Lehrerin und jeder Lehrer unterrichtet im Allgemeinen nur ein Fach in einem nur dieser Lehrkraft zugeordneten Fachraum. Die Schülerinnen und Schüler begeben sich zum Unterricht in die jeweiligen Räume der Lehrkräfte.
In den Kernfächern findet eine äußere Differenzierung statt, während in allen anderen Fächern und Wahlfächern im Klassenverband unterrichtet wird. Es gibt also keine Unterteilung in drei separate Schulformen je nach Lernvoraussetzung, sondern eine fachbezogene Einteilung mit Wechselmöglichkeiten.
Ich bin im dreigliedrigen Schulsystem groß geworden. Wie unterrichtet man erfolgreich eine Klasse mit dem gesamten Spektrum an Lerntempo, Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit?
Zunächst einmal steht die Qualität des Unterrichts im Vordergrund. Das Schlagwort heißt an der Balshaw’s Schule „innere Differenzierung“. Das gelingt auch an dieser Schule nur, weil Schüler selbstständig projekt- und zielorientiert an ihren Lernprozessen arbeiten, sodass die Lehrkräfte da unterstützen können, wo Förderung oder Forderung nötig ist.
Neben dem fachlichen Schwerpunkt wird jede Schülerin und jeder Schüler durch eine individuelle Beratung begleitet, um Defizite auszugleichen, Stärken zu fördern und gemeinsam Zielvereinbarungen zu formulieren. Dies gelingt durch ein Tutorensystem, in dem jede Lehrkraft eine überschaubare Anzahl von Schülerinnen und Schüler betreut.

Zusätzlich werden für 950 Schülerinnen und Schüler 29 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, die einerseits die Unterrichtsarbeit unterstützen, wie Vertretungslehrkräfte in ständiger Bereitschaft und zwölf Unterstützungslehrkräfte zum Teamteaching aber andererseits auch unterrichtsfremde Aufgaben übernehmen so zum Beispiel sechs Verwaltungsangestellte für diverse Aufgaben, ein Disziplinarangestellter, ein Angestellter für die Überwachung der Anwesenheit und drei IT-Angestellte. Darüber hinaus wird der Unterricht durch ein durchführbares und für alle transparentes Erziehungskonzept entlastet, das gleichberechtigt neben Sanktionen ein Belobigungssystem vorsieht. Beispielsweise werden zusätzliche Arbeiten, absolute Pünktlichkeit, hundertprozentige Anwesenheit im Unterricht und die zuverlässige Erledigungen von Hausaufgaben durch sogenannte credits belohnt, die je nach erreichter Anzahl im Zeugnis mit einer bronzenen bis hin zur platinen Plakette ausgezeichnet werden.

Keines dieser pädagogischen und organisatorischen Merkmale der Balshaw’s High School ist neu und wurde nicht schon so oder ähnlich auch in den Schulen hierzulande angewandt. Beeindruckend ist vielmehr die Effektivität der Umsetzung durch alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In unserem deutschen Schulsystem wird schon aus historischer Sicht den Lehrerinnen und Lehrern Allroundtalent und Einzelkämpfermentalität abverlangt. Gleiches gilt für Schulleiterinnen und Schulleiter. Mich hat der Teamgeist, die Identifikation von Lehrkräften und Schülern mit ihrer Balshaw’s High School und die Handlungsfähigkeit der Schulleitung beeindruckt.

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